Rechtsanwältin Kager

Ukraine

Erste Hilfe für Ukrainer*innen

Die derzeitige Situation in der Ukraine stellt die Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland kommen oder bereits hier sind, vor eine besondere Herausforderung. Insbesondere stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten in Bezug auf einen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland bestehen. Nachfolgend soll versucht werden, einen ersten kurzen Überblick zu geben. Die Ausführungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist auch davon auszugehen, dass sich aufenthalts- und sozialrechtlich immer wieder Neuerungen und/oder Ergänzungen ergeben werden.

1. Können Ukrainer*innen in die EU und nach Deutschland einreisen?

Grundsätzlich ist es möglich, dass Menschen aus der Ukraine für einen Kurz Aufenthalt (bis zu 90 Tagen innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen) visumsfrei in die EU und damit auch nach Deutschland einreisen können. Voraussetzung ist, dass sie über einen biometrischen Reisepass verfügen.

Ukrainische Staatsangehörige die über einem nicht-biometrischen Pass verfügen benötigen für die Einreise grundsätzlich ein Visum. Jedoch kann ein Mitgliedstaat für die Einreise in sein Hoheitsgebiet aus humanitären Gründen Ausnahmen zulassen.
Nach Auskunft des BMI halten sich In den ukrainischen Nachbarstaaten derzeit kleine Teams der deutschen Auslandsvertretungen Warschau, Krakau, Chisinau, Bratislava, Bukarest und Budapest bereit, um bedarfsweise an einzelnen Grenzübergängen Präsenz zu zeigen und konsularische Unterstützung für deutsche Ausreisende aus der Ukraine zu leisten, ggf. aber auch zu Visaanträgen sowie zu pandemiebedingten Einreisefragen Auskunft zu geben.

2. Was tun, wenn die 90 Tage ablaufen?
Es besteht die Möglichkeit, im Anschluss an den visumsfreien für einen Kurzaufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis für 90 Tage zu erhalten. Wichtig ist, dass ein entsprechender Antrag vor Ablauf der 90 Tage bei der Ausländerbehörde gestellt wird. Man erhält dann eine sog. Fiktionsbescheinigung. Zwischen dem Antrag auf Verlängerung des Kurzaufenthalts und der Entscheidung über diesen Antrag gilt der Aufenthalt dann als erlaubt (3 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Gemäß § 40 AufenthV (Aufenthaltsverordnung) kann eine Aufenthaltserlaubnis für weitere 90 Tage beantragt werden, da ein Ausnahmefall entsprechend Art. 20 Abs. 2 Schengener Durchführungsübereinkommen vorliegt. In diesem Fall soll nach den Angaben des BMI eine Aufenthaltserlaubnis für einen im Aufenthaltsgesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck nach § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG erteilt werden. Eine Erwerbstätigkeit ist jedoch mit dieser Aufenthaltserlaubnis nicht erlaubt.

3. Ist es möglich, einen langfristigen Aufenthaltstitel zu bekommen?
Grundsätzlich muss für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis neben anderen Voraussetzungen die betreffende Person mit dem passenden Visum (§ 5 Abs. 2 AufenthG) - zum Beispiel zum Ehegattennachzug, für ein Studium oder eine qualifizierte Arbeit - eingereist sein. Im Fall der Ukraine ist es nach den Angaben des BMI aktuell aber überhaupt nicht zumutbar ein Visumsverfahren nachzuholen. D.h. aus Deutschland wieder auszureisen, um in der Ukraine ein Visum zu beantragen.
Dementsprechend können Ukrainer*innen, die sich visumsfrei in Deutschland aufhalten oder nach Deutschland einreisen und die Voraussetzungen für eine langfristigen Aufenthaltserlaubnis erfüllen, eine solche bei der zuständigen Ausländerbehörde beantragen.

4. Was ist, wenn ich keinen biometrischen Pass habe?
Für Personen, die über keinen biometrischen Pass verfügen und mit einem Besuchsvisum in Deutschland sind oder einreisen, gibt es über EU-Visakodex, Art. 33 Visakodex, ebenfalls die Möglichkeit, dass Visum um 90 Tage verlängern zu lassen.

5. Können während des visumsfreien Aufenthalts Sozialleistungen bezogen werden?
Ein besonderes Problem stellt die Unterhaltssicherung während des Aufenthalts in Deutschland da. Grundsätzlich besteht für hilfebedürftige Personen während des visumfreien Aufenthalts während der ersten 3 Monate in Deutschland kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II oder auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII. Es besteht auch kein Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG.
Für hilfebedürftige Personen besteht jedoch die Möglichkeit, sog. Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XIII in Anspruch zu nehmen. Hierfür ist das Sozialamt zuständig. Diese Leistungen werden für einen Monat erbracht. Umfasst sind jedoch nur Essen, Kleidung, Kosten der Unterkunft, medizinische Notversorgung sowie Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft). Zur Vermeidung einer besonderen Härte müssen die Überbrückungsleistungen auch länger als ein Monat und in Höhe der normalen Sozialhilfe erbracht werden, sog. „Härtefallleistungen“. Dies ergibt sich aus § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB XII. Es ist davon auszugehen, dass aufgrund der Situation in der Ukraine die Voraussetzung für die Gewährung von Härtefallleistungen erfüllt sein dürften. Das bedeutet, dass das Sozialamt für die gesamten 3 Monate ungekürzte Leistungen erbringen muss. Wichtig!: Überbrückungsleistungen sind zu beantragen, bevor der Termin bei dem Arzt*in stattfindet.



6. Ist es sinnvoll, einen Asylantrag zu stellen?
Inwieweit es sinnvoll ist, einen Asylantrag zu stellen lässt sich nicht allgemein beurteilen. Hier ist jeder Einzelfall zu betrachten. Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass mit der Stellung eines Asylantrags erheblich Konsequenzen verbunden ist.

• Durch einen Asylantrag erlischt ein Aufenthaltstitel von bis zu 6 Monaten (§ 55 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch für den vorherigen rechtmäßigen visumsfreien Aufenthalt. Es wird dann eine Aufenthaltsgestattung ausgestellt.
• Man ist verpflichtet, zunächst in einer Erstaufnahmeeinrichtung des Landes zu leben. Es besteht dann unter Umständen nicht die Möglichkeit, sich bei Freunden oder Verwandten aufzuhalten, selbst wenn man dort vorher schon war.
• Für die Dauer von bis zu neun Monaten besteht ein Arbeitsverbot. Eine Beschäftigungserlaubnis darf nicht erteilt werden.
• Während des Asylverfahrens ist ein Wechsel in einen anderen Aufenthalt wie zum Bespiel Erwerbstätigkeit als Fachkraft oder für das Studium ausgeschlossen. Nur in ganz seltenen Fällen kann eine andere Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, so zum Bespiel bei Heirat oder aus anderen familiären Gründen.
• Während der Dauer des Asylverfahrens besteht ein Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Bestehendes Vermögen muß, bis auf einen Vermögensfreibetrag von 200,00 € pro Person für die Kosten der Unterbringung eingesetzt werden oder wird als Sicherheitsleistung einbehalten.
Ein Asylantrag kann daher nur für Personen sinnvoll sein, die mittellos sind, keine familiären Anknüpfungspunkte und keinerlei Unterbringungsmöglichkeiten sowie keine Aussicht auf eine Erwerbstätigkeit zum Beispiel als Fachkraft haben oder nicht die Voraussetzung für den Erwerb eines anderen Aufenthaltstitels zum Beispiel zum Studium oder einer Ausbildung erfüllen.

Caroline Kager, FAin für Migrations – und Strafrecht
Kontakt: kager@kanzlei-bsk.de, Hospitalstraße 12, 01097 Dresden, 0351/898520